Stiftungsgründung

Von einer deutschen Idee zur internationalen Bewegung:
Die Fetalblutanalyse, erstmalig am 21. Juni 1960 von Erich Saling in Berlin-Neukölln durchgeführt, war der erste und entscheidende Meilenstein am Beginn einer neuen Medizin des Ungeborenen.

Nach dem ersten Bericht über diese bahnbrechende Technik auf der Sitzung der Berliner Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie im Jahre 1961, erfolgte die Publikation der genauen Vorgehensweise knapp ein Jahr später in der Zeitschrift „Archiv für Gynäkologie“.

Obwohl auf deutsch in einer deutschen Fachzeitschrift erschienen, erreichte dieser Artikel schon bald die internationale wissenschaftliche Öffentlichkeit. Und er wirkt bis heute nach, ist jedem, der ernsthaft Geburtsmedizin betreibt, ein Begriff und gilt zu Recht als „citation classic“ des Institute of Scientific Information, Philadelphia.

Die Verletzung angeblicher Tabus, und das war dieser Eingriff, so selbstverständlich er heute ist und so unglaublich das inzwischen klingt, die mit dem mutigen Beschreiten neuer Wege einhergeht, erwies sich auch hier als Prüfstein für die Bereitschaft von Ärzten und Wissenschaftlern, sich dem Neuen zu öffnen. Eine in aller Schärfe geführte und nicht immer mit nüchternen wissenschaftlichen Fakten, häufig aber von Vorurteilen dominierte Kontroverse begann.

Der Prophet gilt im eigenen Lande wenig, diese alte Weisheit musste leider auch Erich Saling schmerzlich erfahren.

Doch Zustimmung und Ermutigung kamen von jenseits des Atlantiks. Einer der ersten, der die Bedeutung dieses Zugangs zum Feten erkannte, war Roberto Caldeyro-Barcia, Leiter des Physiologischen Instituts der Frauenklinik der Universidad de la República in Montevideo, Uruguay.

Während die Fetalblutanalyse in Deutschland auch im Jahre 1964 noch umstritten war, begann Caldeyro-Barcia einen Briefwechsel mit Erich Saling. Schon bald wurde gemeinsam die Idee eines Treffens geboren. International bedeutende Namen sollen vertreten sein. Caldeyro-Barcia denkt unter anderem an L. Stanley James, Edward H. Hon, Karlis Adamson und Edward Quilligan.

In seinem Brief vom 23. Juli 1964 lädt Caldeyro-Barcia Erich Saling als einen der „main speakers“ zu einem Vortrag über seine neue Methode ein. Er, ein unermüdlicher Arzt und Forscher aus der Städtischen Frauenklinik Berlin-Neukölln, und Fred Kubli von der Universitätsfrauenklinik Frankfurt am Main werden die einzigen deutschen Teilnehmer an diesem Treffen sein. Saling sagt sofort zu und macht sich in seinem Urlaub an die Vorbereitung des Vortrags. Bereits am 8. August 1964 liegt eine erste Fassung vor, die er an Caldeyro-Barcia schickt. Dieser ist begeistert. Der Deutsche, dessen Arbeiten er seit längerem verfolgt, hat ihn nicht enttäuscht. Als einziger Redner erhält er eine Redezeit von 40 Minuten sowie eine Diskussionszeit von 15 Minuten zugesprochen, was die Bedeutung, die inzwischen international seinen Arbeiten beigemessen wird, unterstreicht.

Die Ärzte und Forscher, die im Oktober 1964 in der 18. Etage des modernen Hochhauses der Universitätsklinik von Montevideo zusammenkommen, erkennen, dass solche Aktivitäten auf internationaler Ebene unbedingt fortgesetzt werden müssen.

Die Palette der Themen, die behandelt werden, ist bereits mannigfaltig. Themen des Treffens sind:

  1. Methoden zur Evaluation des fetalen Befindens in utero:
    • a) Elektrokardiogramm, Aufzeichnung der fetalen Herzfrequenz
    • b) Analyse des Fetalbluts: Sauerstoffsättigung, Säure-Basen-Haushalt
    • c) Bedeutung des Mekoniums im Fruchtwasser
  2. Stoffwechsel zwischen Mutter und Fet
  3. Mütterliche, utero-plazentare und fetale Blutzirkulation
  4. Effekte auf den Feten durch Wehen, Blasensprung, Anästhesie der Mutter, Störungen der mütterlichen Blutzirkulation, Gabe von Sauerstoff, Forzeps- und Vakuumentbindung, Kompression des fetalen Kopfes oder der Nabelschnur
  5. Diagnostische und prognostische Bedeutung von Änderungen der fetalen Herzfrequenz während Schwangerschaft und Wehen sowie Änderungen des Säure-Basen-Haushalts
  6. Respiratorische, zirkulatorische und metabolische Adaptation und Maladaptation des Neugeborenen unter Beachtung der Umgebungstemperatur, Sauerstoff- und Medikamentengabe
  7. Reanimation des Neugeborenen
  8. Neurologische und pulmonale Folgen perinataler Asphyxie und intrauteriner Infektionen.

Am Freitag, den 2. Oktober 1964 hält Erich Saling seinen Vortrag über „Blood Microanalysis, a procedure for investigation and supervision of the condition of the human fetus during labor“.

Er stellt ausführlich die von ihm entwickelte Methode der Mikroblutuntersuchung vor. Er geht ein auf die Bedeutung des pH-Werts, aber auch des Sauerstoffs, des Kohlendioxids und der Laktatmessung unter Hinweis auf respiratorische und metabolische Azidose und die Aziditätsstadien. Wichtiges Fazit ist, dass die neue Methode durch rechtzeitiges Aufdecken einer Azidose zur Verminderung von intra- und postpartalen ernsten Gefahrenzuständen führt.

Salings Vortrag wird mit Begeisterung aufgenommen.

An das Treffen schließt sich eine fünftägige Arbeitstagung an, auf der Saling Gelegenheit hat, die von ihm entwickelten Methoden, die Mikroblutuntersuchung am Feten und die Amnioskopie auch in praxi vorzuführen und diese mit den elektronischen Auswertungen der Montevideo-Gruppe zu kombinieren. Damit überzeugt er die Forschergruppe um Caldeyro-Barcia endgültig. So berichtet Geoffrey S. Dawes vom Nuffield Institut for Medical Research der Universität Oxford über ein Meeting in Chicago im März 1965, auf dem Caldeyro-Barcia mit „Enthusiasmus“ über die Ergebnisse, die er mit der Saling-Methode erzielte, sprach. Dies ist auch der Beginn einer wahrhaft internationalen fruchtbaren Zusammenarbeit im Dienste des Ungeborenen.

Nach der Arbeitstagung reist Erich Saling in die USA, um an den Universitäten von Yale, New York und Albany weiter für seine Methode wissenschaftlich zu werben.

Das Montevideo-Treffen kann demnach als historischer Meilenstein der nunmehr auch internationalen Zusammenarbeit im pränatal-, zum Teil auch perinatalmedizischen Bereich angesehen werden. Das wissenschaftliche Programm und das inzwischen weithin bekannte, im ersten Heft des „Journal of Perinatal Medicine“ veröffentlichte Foto sind Zeugen dafür.

Es war die konsequente Umsetzung seiner Visionen, die Erich Saling von der ersten Fetalblutanalyse in Berlin-Neukölln nach Montevideo geführt hat.

Drei Tage genügten, um auf internationaler Ebene den endgültigen Abschied von der Geburtshilfe der Vergangenheit hin zu einer Geburtsmedizin der Zukunft einzuläuten. Nach diesem Treffen, im „Geist“ von Montevideo, begann der Einsatz der Fetalblutanalyse auf dem amerikanischen Kontinent. Der weltweite Siegeszug der Methode schloss sich an und wirkte auch auf Deutschland zurück, wo die letzten Zweifler endlich die wissenschaftlichen Tatsachen anerkennen mussten.

Vortrag, gehalten von Dr. Jens H. Stupin anlässlich der Gründung der
Erich Saling-Stiftung, Berlin, 29.11.2008.